Konflikte aufgrund von Grenz-Überschreitungen stehen in Familien viel zu oft auf der Tagesordnung. Im engsten Kreis der Familie prallen einfach täglich die Bedürfnisse und Wünsche der einzelnen Familienmitglieder aufeinander. Und dabei werden die persönlichen Grenzen sehr oft nicht respektiert.
Gleichzeitig fällt es vielen Eltern schwer, in stressigen Alltagssituationen klare Grenzen zu setzen und bei ihrem Standpunkt zu bleiben – Wut-Ausbrüche, Quengeln und Zeitdruck führen oft dazu, dass wir dann doch nachgeben und dem Kind das geben oder kaufen, was wir eigentlich nicht wollten. Das führt zu Frust und wiederkehrenden Auseinandersetzungen, schlechtem Gewissen und erschöpften Eltern.
Vielen Eltern wird hierbei empfohlen, öfter NEIN zu sagen bzw. konsequenter beim NEIN zu bleiben. Klare Grenzen – klares Nein. Doch ist dies wirklich die einzige Abgrenzungs-Strategie, die wir als Eltern haben? Gibt es da nicht noch etwas zwischen einem Ja oder Nein? Und wie wertschätzend ist eigentlich so ein klares NEIN?
Folgendes Alltags-Beispiel: meine 4-jährige Tochter möchte unbedingt zum Wald-Spielplatz in der Nähe unseres Hauses. Ich aber habe an jenem Nachmittag noch ein Kundinnen-Gespräch vereinbart und ein Berg Wäsche wartet noch auf mich. Wenn ich dem Wunsch meiner Tochter nachgehe, muss ich den Termin auf nächsten Tag verschieben, der aber schon total voll ist mit Meetings und Aktivitäten. Und das Wäsche-Waschen müsste ich abends erledigen, wenn die Kinder im Bett sind. Es ist mir also alles in allem zu stressig und ich möchte an jenem Tag eigentlich nicht zum Wald-Spielplatz gehen. Ein klares NEIN also?
Wenn ich zu meiner Tochter in diesem Fall sage „nein, heute habe ich keine Zeit, um zum Spielplatz zu gehen, tut mir leid.“ – wie fühlt sich meine Tochter dann dabei? Dieses Nein ist zwar klar – aber so richtig wahrgenommen fühlt sie sich nicht mit ihrem Bedürfnis nach Bewegung und Wunsch nach Wald-Spielplatz, oder? Und meine Tochter reagiert ganz oft auf solche NEINs mit Ärger und Wut – weil dies einfach so absolut und ohne Spielraum für sie ist, da fühlt sie sich überrumpelt und nicht gesehen. Und nicht selten enden solche Gespräche dann in Frust auf beiden Seiten.
Gibt es Alternativen?
Im Zuge meiner Resilienz-Ausbildung habe ich 6 Abgrenzungs-Strategien kennengelernt, die Aushandlungs-Prozesse ermöglichen und ein enormes Potenzial zu mehr Wertschätzung im alltäglichen familiären Bedürfnis-Balance-Akt mitbringen.

JA, UND…
Anstatt eines absoluten und klaren NEIN, kann ich über ein „Ja, und…“ in einen wertschätzenden Dialog und Aushandlungs-Prozess einsteigen, der die Bedürfnisse beider Parteien – mir und meiner Tochter – integriert und eine Lösung findet, wo beide sich gesehen fühlen.
- JA, und einen konkreten späteren Termin anbieten
- JA, und eine Teilleistung anbieten
- JA, und die Erwartungen und den Anspruch abklären
- JA, und eine Gegenleistung einfordern
- JA, und Selbsthilfe ermöglichen
Im Falle des Spielplatz-Wunsches meiner Tochter könnte ich zum Beispiel sagen:
„Ja liebe M…, ich kann gut verstehen, dass Du bei diesem herrlichen Frühlings-Wetter zum Wald-Spielplatz gehen möchtest. Und ich kann Dir anbieten, dass wir gleich morgen nach dem Kindergarten zum Spielplatz gehen. Wie hört sich das an? Heute ist bei mir leider nicht möglich.“
Eine weitere Alternative wäre: „Ja, das kann ich verstehen, dass Du bei dem sonnigen Wetter rausgehen möchtest – warum genau möchtest Du denn gerade heute zum Spielplatz?“
Vielleicht ist ja die Freundin vom Kindergarten dort oder sie will unbedingt rutschen oder schaukeln. Je nachdem, was genau die Erwartungen am Spielplatz-Besuch sind, könnte ich dann vielleicht eine passende Alternative (Teil-Leistung) anbieten, wie z.B. Schaukeln oder Rutschen beim Nachbarn oder der Besuch der Kindergarten-Freundin.
Oder ich könnte meiner Tochter folgendes anbieten: „Ja, ich verstehe, dass Du wieder mal zum Wald-Spielplatz gehen möchtest. Ich habe nur noch einen wichtigen Termin und die Wäsche möchte ich unbedingt auch noch erledigen. Wie wäre es, wenn wir nach meinem Termin ganz schnell die Wäsche gemeinsam wegräumen, die Waschmaschine einschalten und dann noch kurz zum Wald-Spielplatz gehen?“
In allen 3 Fällen wäre die zentrale Botschaft an meine Tochter ein JA, und… – und bei meiner Tochter bewirkt dies wahre Wunder. Denn es ist eine positive Reaktion und sie wird dabei mit ihrem Wunsch und Bedürfnis gesehen und ernst genommen. Darüber hinaus hat sie das Gefühl, dass ich mir als Mama Gedanken mache, wie wir gemeinsam zu einer Lösung kommen, dass ihr Bedürfnis gestillt wird. Selbstverständlich kann sie auch dabei verärgert sein, wenn es nicht gleich möglich ist, zum Spielplatz zu gehen – aber durch diese positive Grund-Botschaft des JA, und… gelingt es mir leichter, mit meiner Tochter in Verbindung zu bleiben, obwohl sie etwas das sie JETZT gleich haben möchte, nicht so bekommen kann.
Das persönliche Abgrenzen im Familien-Alltag ist ein täglicher Balance-Akt und ein lebenslanger Lern-Prozess.
„Die eigenen Grenzen zu kennen und benennen zu können ist keine notwendige Voraussetzung von Elternschaft, sondern ein lebenslanger Lernprozess, der im Umgang mit dem Partner, den Kindern, deren Partnern, den Enkelkindern und unseren eigenen Eltern stattfindet.“ (Jesper Juul).
Ich bin sehr dankbar, dass ich nun ein paar weitere Strategien in meinem Mama-Tool-Koffer habe, um die Kunst der Abgrenzung zu verfeinern, meine Resilienz zu stärken und unseren Familien-Alltag dadurch noch ein Stück wertschätzender gestalten kann.
Und welche Abgrenzungs-Strategien funktionieren bei Dir im Familien-Alltag am besten?
Wertschätzende Grüße von Eurer
Petra
Quellen: Amann E.G., Egger A., Micro Inputs Resilienz, Praxishandbuch Coaching, managerSeminare, 2. Auflage 2019
Fotos: ©Ella Gabriele Amann | Resilienz-Zirkel-Training nach dem Bambus-Prinzip® für Ja-Und-Grafik und Petra Herout für Beitrags-Bild